Veröffentlicht in Kurzgeschichten

Kinderherzen in Not Teil 1

„Mutter, denk dir doch, die arme Lisette bekommt eine Stiefmutter! Ist das nicht schrecklich?“ Mutter schwieg lange, dann legte sie die Hand auf die Schulter des aufgeregten Töchterchens und sagte: „Ich will dir einmal etwas erzählen, Käthe. Ich habe genauso gedacht wie du und meine Schwester, Tante Ilse, auch, und dadurch haben wir einer Frau das Leben sehr schwer gemacht, so dass ich mich noch heute schäme. Wir waren durch Geschichten über böse Stiefmütter aufgehetzt worden. Die Köchin und das Mädchen erzählten sie und alle Tage, denn wir hatten früh die Mutter verloren. Es gefiel den beiden, dass sie ungehindert im Haus walten und schalten konnten. Sie mochten sich nicht unter einer neuen Frau fügen. Vater war viel auf Reisen. Er konnte sich kaum um uns kümmern.

dienstbotenpapa putzt

Aber später hat uns Mutter erzählt, dass er und oft, wenn er nach Hause kam, erst waschen musste. Das ging natürlich nicht auf die Dauer. Es wird auch noch in anderen Dingen gefehlt haben. Kannst du es ihm verdenken, wenn er sich nach einer neuen Mutter für die verwahrlosten Kinder umsah? Es war ausserdem für unsere Erziehung notwendig. Heute sehe ich das ein; denn wir hatten allen Willen bekommen. Verbot uns jemand etwas, stampften wir mit dem Fuss auf und gebärdeten und ganz närrisch. Du kannst dir denken, dass es unsere neue Mutter recht schwer mit und hatte. Sagte sie etwas, so hiess es gleich: die Stiefmutter. Die Dienstboten bestärkten uns darin und versteckten uns, wenn wir Strafe haben sollten. Sie gaben und heimlich zu essen, als Mutter uns durch Hunger zur Einsicht und Gehorsam bringen wollte. Wir machten ihr das Leben wirklich zur Hölle, und ich begreife heute noch nicht, dass sie nicht davonlief, sondern uns trotz allem liebte.

Sie war eine gläubige Frau und betete täglich. Wir hatten es gesehen und sie deswegen verspottet. Wir waren ohne Glauben aufgewachsen. Vater hatte keine Zeit, sich um solche Dinge zu kümmern. Die Dienstboten machten alles lächerlich, was sie tat, und wir gehorchten ihnen, weil wir es so gewohnt waren und weil wir meinten, sie liebten uns. Ich hörte die Mutter einmal sagen:  Ich würde mit den Kindern zurechtkommen, wenn ich sie allein hätte, es steckt ein guter Kern in ihnen.  Ich wunderte mich darüber, ich war sogar erstaunt, dass sie uns nicht schlecht machte, nichts von unsren bösen Streichen erzählte und nicht einmal klagte. Der Besuch riet ihr, alle Dienstboten hinauszuwerfen und sich ein neues Personal zu nehmen. `

kern

Es wird dann wieder heissen: Die Stiefmutter, sagte sie mit wehem Lächeln, und die Dame entgegnete darauf:Sie sind wirklich zu gut, meine Liebe, man kann auch zu gut sein.  Ich sehe diese Dame noch vor mir mit ihrem silbernen Haar und gütigem Lächeln. Mein Herz schlug ihr entgegen, und ich wäre gern zu ihr gegangen, um in ihrer Nähe zu sein. Aber als ich sie begrüssen sollte, versteckte ich meine Hände und wandte mich trotzig ab, weil esihrBesuch war. Ilse war gar nicht erst erschienen, sie hielt sich im Garten verborgen und hatte ihr Kleid mit Mutwillen beschmutzt, nur umsie` zu ärgern.

schmutzig

Ich wundere mich heute noch, dass sie uns nicht schlug, sie tat es nicht ein einziges Mal. Im Nebenzimmer, wo ich mich eingeschlichen hatte, um sie zu belauschen, sah ich, dass beide niederknieten, Mutter und die alte, feine Dame, und ich hörte sie beten. Ich verstand nicht alles, aber ich merkte doch, dass ihnen unser Wohl wirklich am Herzen lag und sie nichts Böses mit uns im Sinn hatten. Ich wurde sehr beschämt und war den ganzen Tag über still, aber ich hatte nicht den Mut, Ilse davon zu erzählen, und so blieb wieder alles beim alten. Aber mir war nicht wohl dabei.

Ich wurde überhaupt nicht wieder recht froh, und eines Tages war ich krank. Ich hatte Scharlach, lag fiebernd im Bett und redete wirr. Auch Ilse wurde krank, aber davon wusste ich nichts mehr. Man hat es mir später erzählt. Mutter hatte Ilse sorgfältig von mir fernhalten wollen, aber Ilse, die ihr Verbot für eitel Bosheit hielt, hatte ihre Anordnungen hintergangen. Es war sehr schwer für Mutter, uns beide zu pflegen. Sie nahm sich eine Schwester zu Hilfe, weil sie mich wirklich dem Tode abringen musste. Tag und Nacht wich sie nicht von meinem Lager und überliess Ilse der Schwester. Und noch in diesen schwersten Stunden jemand den traurigen Mut, sie eine Stiefmutter zu nennen, weil sie Ilse wirklich nicht zugleicht pflegen konnte.

krank

Der Arzt hatte ihr geraten, mich ins Krankenhaus zu bringen, aber sie hatte es nicht leiden wollen; wir wohnten weit weg von der Stadt, und damals hatten man noch nicht die segensreichen Mittel zur Bekämpfung der Krankheit wie heute. Trotzdem hat sie es leiden müssen, dass sie selbst ins Krankenhaus kam. Als ich gerettet und ausser Gefahr war, brach sie zusammen. Sie hatte sich schon tagelang nicht wohlgefühlt und bei unserer Pflege angesteckt. Aber sie hatte nichts davon gesagt, weil sie niemanden hatte, der ihr die Wickel und Eisbeutel gewissenhaft genug machte. Nun lag sie, und keiner kümmerte sich um sie ausser den Anstaltsschwestern. Vater war gerade auf einer längeren Reise, und uns verschwieg man es, weil wir erst selbst genesen mussten.

krankenhaus

Ungekürzte Kurzgeschichte von E. Rusten aus dem Buch Kinderherz und Kindersinn vom Verlag SV

ramylu

Autor:

Liebe Blogleser! Eines meiner vielen Hobbys ist zu lesen, wie ihr bestimmt erraten könnt. Doch das ist bei weitem noch nicht alles: Ich liebe es, zu kochen und zu backen, Geschenke in Hülle und Fülle zu machen, mit kleinen Kindern zu spielen, telefonieren, abmachen, Dinge organisieren oder - in letzter Zeit habe ich gelernt, zur Ruhe zu kommen und zum Beispiel ein heisses Bad zu nehmen ;-) Mein Lieblingsbuch… Puh, schwierige Frage. Die besten drei sind wahrscheinlich die Serie von Elisabeth Büchle: (Himmel über fremden Land, Sturmwolken am Horizont, Hoffnung eines neuen Tages). Ausserdem liebe ich "Die Liebe findet dich", "Mehr als mein Herz", "Stolz und Vorurteil" und last but not least die Alaska-triologie von Tracie Peterson. Unten noch die Linke zu den Beiträgen! . Die müsst ihr einfach lesen! Diesen Sommer werde ich eine Lehre als Kauffrau beginnen. Was ich nacher machen möchte - ob Mathelehrerin, Juristin, oder einfach weiter auf der Bank - das weiss ich noch nicht. Mein Traum wäre es, eines Tages ein Buch zu veröffentlichen, und ich übe schon fleissig :-) Mein grösster Wunsch für die Zukunft ist, dass ich Gott mit meinem Leben verherrliche und dass ich eine grosse Familie haben kann. Ramylu Übrigens: Wenn ihr auch gerne lest: www.lesemausblog.wordpress.com Linke zu den Beiträgen meiner Lieblingsbücher: ElisabethBüchleSerie: https://lesemausblog.wordpress.com/?s=elisabeth+büchle+band Die Liebe findet dich: https://lesemausblog.wordpress.com/2016/03/01/die-liebe-findet-dich/ Mehr als mein Herz: https://lesemausblog.wordpress.com/2016/12/24/gastbeitrag-mehr-als-mein-herz/ Stolz und Vorurteil: https://lesemausblog.wordpress.com/2017/01/25/stolz-und-vorurteil/ Alaska-triologie: https://lesemausblog.wordpress.com/?s=Alaska

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