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Der Seestern

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Als der alte Mann bei Sonnenuntergang den Strand entlang ging, sah er vor sich einen Jungen, der Seesterne aufhob und ins Meer warf. Nachdem er ihn schliesslich eingeholt hatte, fragte er ihn, warum er das tue. Die Antwort war, dass die gestrandeten Seesterne sterben würden, wenn sie bis Sonnenaufgang hier liegen blieben. „Aber der Strand ist viele, viele Kilometer lang und tausende von Seesternen liegen hier“, erwiderte der Alte, „was macht es also für einen Unterschied, wenn du dich abmühst?“ Der Junge blickte auf den Seestern in seiner Hand und warf ihn in die rettenden Wellen. Dann meinte er: „Für diesen hier macht es einen Unterschied.“

Quelle: Ethos 8/2013

 

 

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Zwei Spinnen

zwiZwei Spinnen kommen eines Tages ins Gespräch: „Hast du schon mal ein grösseres Wesen gesehen als uns?“ – „Nein“, sagt die andere, „wie kannst du überhaupt daran denken, dass es ein grösseres Wesen als uns gibt?“ – „Ja, das habe ich mir auch schon gedacht“, sagt die Erste, „Es kann doch kein grösseres als uns geben!“ In diesem Augenblick geht der Förster im Abstand von einem Meter vorbei. Doch die beiden Spinnen können ihn nicht sehen, denn sie sehen nur acht Zentimeter weit.

Quelle: Ethos 9/2012

Ähnlich ist es mit uns Menschen… Wir halten uns manchmal für so wichtig, doch dabei sind wir nur Staub, ach was, nicht einmal Staub im Vergleich zu Gott! Und wenn er vorübergeht, sehen wir ihn nicht einmal – denn wir sehen nur 8 Zentimeter weit.

ramylu

 

 

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Glück oder Unglück? Wer weiss das schon!

Glück oder Unglück? Wer weiß das schon!

Ein alter Mann und sein Sohn bewirtschaften gemeinsam ihren kleinen Hof. Sie hatten nur ein Pferd, das den Pflug zog. Eines Tages lief das Pferd fort. „Wie schrecklich!“ sagten die Nachbarn, „Welch ein Unglück.“

„Wer weiß, ob Glück oder Unglück“, erwiderte der alte Bauer.

Eine Woche später kehrte das Pferd aus den Bergen zurück. Es brachte fünf wilde Pferde mit in den Stall. „Wie wunderbar!“ sagten die Nachbarn, „Welch ein Glück.“

„Glück oder Unglück? Wer weiß“, sagte der Alte.

Am nächsten Morgen wollte der Sohn eines der wilden Pferde zähmen. Dabei stürzte er und brach sich ein Bein. „Wie schrecklich!“ sagten die Nachbarn, „Welch ein Unglück!“

Der Bauer antwortet nur: „Glück oder Unglück?“

Drei Tage später kamen die Soldaten ins Dorf und holten alle jungen Männer in den Krieg. Den Sohn des Bauern konnten sie nicht brauchen. Er blieb als einziger verschont.

Glück oder Unglück? Wer weiß das schon!

 

Kommentar: Ich finde das eine sehr schöne und ermutigende Geschichte. Auch wenn ihm Leben etwas Schreckliches passiert, heisst noch lange nicht dass es auch wirklich Unglück ist, vielleicht wird man da durch vor Schlimmerem bewahrt. Oft muss etwas Schlimmes geschehen, damit daraus etwas Gutes entstehen kann. 

nanacara 😉

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Kinderherzen in Not Teil 3

Später nahm Mutter eine Stelle als Hausdame an, obwohl sie da noch mehr gebunden war; aber sie durfte uns bei sich haben und konnte uns noch besser überwachen; denn Ilse macht ihr manchmal mit ihre Gespielinnen Sorge. Sie war nicht sehr vorsichtig in ihrem Umgang, ich war schon immer zurückhaltender gewesen und nicht so sehr in Gefahr. Aber Ilse hatte einen Freund, der keinen guten Einfluss auf sie ausübte und mit dem sie doch tagtäglich zusammensteckte. Einmal kam es zu einer erregten Auseinandersetzung, und zum ersten Mal in ihrem Leben hat Mutter Ilse geschlagen, obwohl sie bald vierzehn wurde. Da fiel wieder das böse Wort Stiefmutter.

freundinnen

Mutter wurde blass und bleich, fasste sich aber schnell und sagte traurig:  Verzeih, mein Kind dass ich dich schlug. Ich habe vergessen, dass solche grossen Kinder wie ihr ohne Schläge wissen müssten, was sie tun können. Wenn du aber meinst, ich hätte damit wie eine Stiefmutter gehandelt und du kannst nicht bei mir bleiben, so gehe bitte dahin, wo du ohne mich wärst. Ich werde dich nicht halten.

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Kinderherzen in Not Teil 2

Ich weiss noch, wie glücklich wir waren, als wir beide, Ilse und ich, in einem Bett sitzen und zusammen spielen durften. Da brach das Unheil über un herein. Es ging alles so schnell. dass ich mich auf Einzelheiten und die Reihenfolge nicht mehr besinnen kann. Ich habe es nur später, als ich grösser war, von anderen gehört, dass Vater unterwegs verunglückte, dass er schon eine Zeit mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte und dass nach seinem Tode ein Zusammenbruch unvermeidlich war.

kinder

Ich denke mir, die Dienstboten hatten auch zu grosszügig und verschwenderisch gewirtschaftet und manches in ihre eigene Tasche fliessen lassen; denn ich kann mich entsinnen, wie sie heimlich in der Küche die leckersten Sachen brauten, die sonst nicht auf den Tisch kamen, und wie sie sogar ihren Freunden aus der Nachbarschaft davon zusteckten. Ja, wir Kinder mussten Schmiere stehen, damit Vater nichts merkte. Du verstehst nun, dass ihnen Mutter unbequem war, weil sie ihnen auf die Finger sah. Aber ich will nicht wissen, was sie während ihrer Krankheit noch auf die Seite gebracht haben; denn uns war zugestanden worden, dass wir Wäsche, Geschirr und persönliche Sachen behalten konnten, aber es war kaum noch etwas da.

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Kinderherzen in Not Teil 1

„Mutter, denk dir doch, die arme Lisette bekommt eine Stiefmutter! Ist das nicht schrecklich?“ Mutter schwieg lange, dann legte sie die Hand auf die Schulter des aufgeregten Töchterchens und sagte: „Ich will dir einmal etwas erzählen, Käthe. Ich habe genauso gedacht wie du und meine Schwester, Tante Ilse, auch, und dadurch haben wir einer Frau das Leben sehr schwer gemacht, so dass ich mich noch heute schäme. Wir waren durch Geschichten über böse Stiefmütter aufgehetzt worden. Die Köchin und das Mädchen erzählten sie und alle Tage, denn wir hatten früh die Mutter verloren. Es gefiel den beiden, dass sie ungehindert im Haus walten und schalten konnten. Sie mochten sich nicht unter einer neuen Frau fügen. Vater war viel auf Reisen. Er konnte sich kaum um uns kümmern.

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Aber später hat uns Mutter erzählt, dass er und oft, wenn er nach Hause kam, erst waschen musste. Das ging natürlich nicht auf die Dauer. Es wird auch noch in anderen Dingen gefehlt haben. Kannst du es ihm verdenken, wenn er sich nach einer neuen Mutter für die verwahrlosten Kinder umsah? Es war ausserdem für unsere Erziehung notwendig. Heute sehe ich das ein; denn wir hatten allen Willen bekommen. Verbot uns jemand etwas, stampften wir mit dem Fuss auf und gebärdeten und ganz närrisch. Du kannst dir denken, dass es unsere neue Mutter recht schwer mit und hatte. Sagte sie etwas, so hiess es gleich: die Stiefmutter. Die Dienstboten bestärkten uns darin und versteckten uns, wenn wir Strafe haben sollten. Sie gaben und heimlich zu essen, als Mutter uns durch Hunger zur Einsicht und Gehorsam bringen wollte. Wir machten ihr das Leben wirklich zur Hölle, und ich begreife heute noch nicht, dass sie nicht davonlief, sondern uns trotz allem liebte.

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Die Liebe siegt Teil 2

Erna legte die Schultasche weg und trat hinter die Mutter. Tat so, als wenn sie ihr bei der Arbeit zusehen möchte. Am liebsten aber wäre sie der Mutter um den Hals gefallen vor Freude darüber, dass sie ein Geburtstagsgeschenk für sie hatte.

Später fand Erna ein Plätzchen, wo sie die Schokolade versteckte. Fast bis zum Abend hielt ihre Freude darüber an, dass sie für Mutters Geburtstag etwas hatte. Dann aber – als die Mutter wegging um die fertiggenähten Sachen abzuliefern – überfiel sie plötzlich ein grosses Verlangen, die Schokolade doch noch selber zu essen. Sie holte das Täfelchen aus seinem Versteck. „Mutter weiss ja noch nichts davon!“ dachte sie. Da gab es auch schon einen Knacks. Grad an der Ecke ging das Täfelchen entzwei, weil Erna daran gebrochen hatte. Doch die Umhüllung hielt noch stand. Gewiss war sie durch ein Stückchen Pappe haltbarer gemacht. Zum Glück, muss man schon sagen, denn Erna konnte das Täfelchen danach wieder an seinen Platz zurücklegen. „Es ist Mutters Geburtstagsgeschenk“ hatte sie die Stimme gemahnt. „Beherrsche dich!“

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Die Liebe siegt Teil 1

Die Liebe siegt

An einem schönen Junitag geschah es, dass Erna, die elfjährige Tochter der Kriegerwitwe Röder, die draussen am Rande der Stadt in einem kleinen Siedlungshaus zur Miete wohnte, auf dem Heimweg von der Schule auf der Bahnhofsstrasse von einem fremden Herrn nach dem Weg zur Weberei „Krause & Sohn“ gefragt wurde. Erna gab höflich die gewünschte Auskunft und konnte es dann gar nicht fassen, dass ihr für diese kleine Mühe, die doch gewiss nicht der Rede wert zu nennen war, ein blankes Fünfzigpfennigstück zum Lohn wurde. Ganz verwirrt dankte sie und sprang davon. Fast wie ein Junge lief sie dahin, bis sie mit Leuten, die, wie der fremde Herr „vom Zuge“ kamen, zusammenstiess. Da nahm sie sich wieder zusammen und ging gesittet, wie man das bei ihr sonst immer gewohnt war, ihres Weges weiter.

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„Fünfzig Pfennig, ganze fünfzig Pfennig gab mir der fremde Herr für seine Auskunft!“ jubelt es in dem Mädchen. „Was man sich alles dafür kaufen kann!“ Dies und das ging Erna durch den Sinn, bis sie am Erfrischungshäuschen am Ende der Strasse vorbeikam. „Ein Täfelchen Schokolade könnte es sein oder auch ein Beutelchen feiner Bonbons“ dachte sie. Und das stand sie auch bereits vor dem grossen Schiebefenster. „Und an Mutters Geburtstag – übermorgen – denkst du gar nicht?“ fragte es plötzlich in ihr.

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